News Bild Islamwissenschaftlerin Prof. Angelika Neuwirth jetzt im Interview - Gastprofessur der Stiftung Benedikt XVI. startet am kommenden Dienstag

Islamwissenschaftlerin Prof. Angelika Neuwirth jetzt im Interview - Gastprofessur der Stiftung Benedikt XVI. startet am kommenden Dienstag

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„Der Koran in unserer Mitte“ ist der Titel der Vorlesungsreihe der Gastprofessur der Joseph-Ratzinger-Papst-Benedikt-XVI.-Stiftung, die die renommierte Islamwissenschaftlerin Prof. Dr. Angelika Neuwirth in diesem Jahr in der Zeit vom 21. Juni bis zum 29. Juni an der Universität Regensburg halten wird. Beginn der öffentlichen Vorlesungen an der Fakultät für Katholische Theologie ist am kommenden Dienstag, 21. Juni, von 16 bis 18 Uhr im Vielberth-Gebäude (H24). Der Untertitel der hochkarätigen und mit großer Aktualitätsbezug versehenen Veranstaltung lautet „Die koranische ,Verzauberung der Welt‛ in der Spätantike“. Weitere Termine der Vorlesungen sind Mittwoch, 22. Juni, Donnerstag, 23. Juni, Montag, 27. Juni, Dienstag, 28. Juni sowie – der Festvortrag – am Mittwoch, 29. Juni 2016.
Zwischenzeitlich hat die renommierte Islam-Wissenschaftlerin der Bischöflichen Pressestelle Regensburg ein Interview gegeben, in dem sie die Kernaussagen vorstellt, die sie auf der Professur vertreten möchte. Sie wird demnach dazu ermutigen, dem Koran dieselbe Hermeneutik zugestehen, mit der wir unserer Tradition begegnen. In diesem Sinne soll es darum gehen, vor allem hinter den Buchstaben der Schrift zu schauen und zu versuchen, ihren Geist zu erfassen. Die Fragen stellte Prof. Dr. Veit Neumann, Redakteur der Presse- und Medienabteilung der Diözese Regensburg.

Sehr geehrte Frau Neuwirth, wie kann der Koran in die heutige Welt übersetzt werden – „übersetzt werden“ im Sinne von „zugänglich gemacht werden“?
 
Der Koran ist durch die Jahrhunderte immer in die jeweilige Zeit übersetzt worden, wie sonst könnten wir heute auch in Europa eine so lebendige Koran-Frömmigkeit erleben? Es gibt allerdings heute, in einer Zeit, in der Religion in der Öffentlichkeit zum politischen Problem erhoben wird, neue Herausforderungen, die Muslime und Nicht-Muslime verschieden betreffen. Für Muslime ist der Koran primär ein Ort der Meditation, er lebt im Gebet oder im Anhören von Rezitation. Erst sekundär – und erst neuerdings – interessiert sein Buchstabe auch für die Gestaltung des täglichen Lebens. Das gilt vor allem für äußerlich rigoros praktizierende, fundamentalistisch gesonnene Kreise. Für die große Mehrheit ist der Koran in eine Vielzahl von Auslegungen eingebettet, die je nach Region, je nach dem Grad der Verstädterung des Milieus, je nach sozialem Status verschieden sind, so dass die Gläubigen weltweit jeweils eigene Gewohnheiten und Praktiken aus ihrem „ausgelegten Koran“ ableiten.
Gleichwohl stellt sich bei den muslimischen Gelehrten und natürlich auch bei Außenstehenden die Frage nach der Vermittelbarkeit des Koran heute. Es ist schwer zu bestreiten, dass ein 1400 Jahre alter Text einem heutigen Leser semantisch nicht unmittelbar zugänglich sein kann. Für Muslime muss er außerhalb des Lehrbetriebs nicht semantisch zugänglich gemacht werden, denn er ist eingebettet in eine ästhetische Praxis, die ihn von vornherein auf ein spirituelles Niveau hebt: die von Kantilene unterstützte Rezitation. Diese Sakralisierung verleiht ihm bis heute eine Dignität, die er für Außenstehende nicht besitzt. Was in unsere Zeit übersetzt werden muss, ist daher aus muslimischer Sicht nicht der Koran, sondern sind eher seine Auslegungen, vor allem die – sich gern auf den Koran berufende – Rechtspraxis.
Wie kann man aber mit dem Text so umgehen, dass er heute allgemein verständlich ist? wäre dann zu fragen. Das ist so schwierig wie etwa die Aufgabe, ein spätes biblisches Buch, etwa die Klagelieder, für unsere Zeit zugänglich zu machen. Der Koran ist kein Lesebuch, sondern ein Lektionar, ein liturgischer Text, hineingesprochen in sich wandelnde Situationen der Gemeinde. Ohne diesen Hintergrund kann man sich dem Koran nicht von außen nähern. Man kann sich aber bemühen, einem – idealiter – biblisch vorgebildeten Publikum durch historische Erklärungen und Vergleiche mit uns geläufigeren Traditionen etwas von der Ausstrahlung des Koran zu vermitteln.
 
Gibt es überhaupt ein Verstehen des Koran ohne präzise Kenntnisse des Arabischen?

Die Frage tangiert die Sinnhaftigkeit der Vorlesungsreihe! Zum Glück ja! Die Mehrzahl der Muslime lebt ohne präzise Arabischkenntnisse. Es gibt kongeniale Übersetzungen, die zusammen mit Erklärungen ein Verständnis erleichtern, wie man ja auch die Bibel ohne Hebräisch- oder Griechischkenntnisse verstehen kann.  
 
Sie halten Ihre Vorlesungen an einer katholisch-theologischen Fakultät. Wo sehen Sie hier wesentliche Anknüpfungspunkte?

Der Koran ist ein religiöser Text, der am ehesten in die Hände von Theologen gehört. Islamwissenschaftler, früher die Anlaufstelle für Koranstudien, haben ihn bereits weitgehend an Theologen weitergegeben, vor allem natürlich an unsere Islam-theologischen Kollegen, aber auch an christliche Theologen. Der Koran ist schließlich die Schrift einer der drei abrahamitischen Religionen, die aus einem Prozess der Anziehung und Abstoßung gegenüber den beiden anderen entstanden ist und daher auch mit dem methodischen Arsenal der Theologie am ehesten bearbeitet werden kann. Ich sehe in der Möglichkeit, den Koran mit katholischen Theologen zu diskutieren, eine großartige Chance.
 
Wie sehen Sie die thematische Verankerung Ihrer Vorlesungen an einer Professur, die just den Namen von Papst Benedikt XVI. trägt?

Eine nicht leicht zu beantwortende Frage. Papst Benedikt hat eine – seinerzeit ungewöhnliche – Dynamik in der Auseinandersetzung zwischen Christen und Muslimen ausgelöst, die noch fortwirkt. Ich sehe gerade in den von ihm geäußerten Zweifeln an der Dimension des „Neuen“ am Islam eine Herausforderung, dieser Frage nachzugehen. Während gläubigen Muslimen, die an der Historizität ihrer Religion nicht interessiert sind, dieser Aspekt gänzlich fernsteht, kann ja der Aufweis einer revolutionär neuen Qualität einer fremden Religion bei Außenstehenden das Interesse an ihr steigern, d.h. in unserem Fall den Islam intellektuell attraktiv machen. Wie stehen ja vor der Notwendigkeit, den ungewöhnlich raschen Erfolg der koranischen Botschaft, die innerhalb weniger Jahrzehnte die Landkarte des Nahen Ostens veränderte, historisch zu erklären, müssen also schon deswegen nach dem „Neuen“ suchen.

Sie werden auch über die Kanonwerdung sprechen. Welchen Zugang haben Sie zu diesem Phänomen als Nicht-Theologin? Es schwingt ja die Frage mit, wie etwas, das für den Glauben maßgebliche Bedeutung haben kann, historisch gewachsen sein kann.

 
Das Problem stellt sich für den Koran etwas anders als für die beiden anderen monotheistischen Schriften. Die Koran-Verkündigung versteht sich von den Anfängen her als das an den Verkünder herabgesandte Wort – entsprechend dem Herabkommen des in Christus verkörperten Logos vom Himmel. Insofern beginnt die Kanonisierung schon während der Korangenese. Dieser Anspruch ist – in meiner Sicht – auf Augenhöhe mit der christlichen Logos-Theologie zu stellen.
Natürlich wird dieser Prozess im Koran-Text nicht expliziert oder rational begründet, so dass nach dem Ausscheiden der wichtigen Person des Empfängers – mit Muhammads Tod und dem Versiegen der Prophetie – noch einmal ein Kanonisierungsprozess einsetzen muss, der nun aber „im vollen Licht der Geschichte“, abläuft. Dass die frühen an diesem Prozess beteiligten Akteure in vielen Fällen von der Tradition enthistorisiert werden, so dass ihre Autorität bis heute nicht angetastet werden kann, ist ein Problem, das Neudenker wie etwa Mohamed Arkoun zu einer Klage über das „Undenkbare im islamischen Denken“ herausgefordert hat. Über diesen Teil der Kanonisierung hat die klassische Islam-Theologie debattiert und wird die zeitgenössische zu entscheiden haben. Die Kanonisierung während der Verkündigung ist dagegen integraler Teil der koranischen Botschaft.  
 
Gibt es eine Kernbotschaft, die Sie im Rahmen der Gastvorlesungen vermitteln wollen, wie würden Sie diese zusammenfassen?


Gewiss. Wir sollten uns bemühen, den Koran nicht mit Fremdblick zu betrachten, sondern ihn inklusivistisch zu lesen, ihm dieselbe Hermeneutik zugestehen, mit der wir unserer Tradition begegnen, d.h. vor allem hinter den Buchstaben der Schrift schauen und versuchen, ihren Geist zu erfassen. Zugleich sind die innerislamischen Deutungen ernst zu nehmen. Die heute in Ost und West praktizierten Lektüren sind oft gegenläufig. Wir sollten versuchen, die Unterschiede nicht als Trennlinien, sondern als Herausforderungen zu einem „pluralistischen Verstehen“ des Koran zu nutzen.

 

Die einzelnen Vorlesungen

In ihrer ersten Vorlesung spricht Dr. Neuwirth, Berlin, über „Muslimische Innenansichten – europäische Außenansichten“ („Zwei Korane?“) am 21. Juni. Weitere Themen werden sein die Kanonbildung und die Kodifizierung, der Koran als Text des „Zeitalters der Rhetorik, Biblisierung und Arabisierung sowie „Koran und Bibel“. Der Titel des Festvortrags am 28. Juni lautet „Die koranische Konstruktion des Islam als abrahamitische Religion“. Prof. Neuwirth leitet seit 2013 das Projekt „Von Logos zu Kalam“ im Sonderforschungsbereich „Episteme in Bewegung“ an der Freien Universität Berlin.



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