News Bild „Benedikt XVI. ist der Anwalt der menschlichen Vernunft“: „Tagespost“-Interview mit Bischof Dr. Rudolf Voderholzer zum 90. Geburtstag von Papst em. Benedikt XVI.

„Benedikt XVI. ist der Anwalt der menschlichen Vernunft“: „Tagespost“-Interview mit Bischof Dr. Rudolf Voderholzer zum 90. Geburtstag von Papst em. Benedikt XVI.

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Gerade für junge Menschen sei das Faszinierende an der Theologie Joseph Ratzingers/ Benedikts XVI. laut Bischof Rudolf Voderholzer, "(d)ass hier Wahrheitssuche und Schönheit des Glaubens, auch die Schönheit und der Bilderreichtum der Sprache mit existenziellem Tiefgang einhergehen. Man spürt: Hier leuchtet die Bedeutung des Glaubens für mich auf."

 

„Die Entfesselung der Vernunft“: Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer würdigt den Theologen Joseph Ratzinger zum 90. Geburtstag. Ein Interview von Regina Einig

 

Exzellenz, Papst Benedikt XVI. gilt als überragender Theologe auf dem Stuhl Petri. Welche Aspekte an seiner Theologie sind in Ihren Augen besonders innovativ und zukunftsweisend?

Unter der Rücksicht der theologischen Erkenntnislehre zunächst sein entschiedenes Eintreten für das Miteinander, für das gegenseitige Verwiesensein von Glaube und Vernunft. Das Christentum ist nicht zu reduzieren auf Moral, auch nicht auf eine Mysterienreligion, die sich hinter die Mauern ihrer Arkandisziplin zurückzieht. Der christliche Glaube verlangt von innen her nach vernunftgeleiteter Durchdringung. In der epochalen Rede an der Sorbonne in Paris, jenem Tempel der laizistischen Bildung, hat er 1998 gesagt, im Christentum sei Aufklärung Religion geworden. Die biblische Botschaft ist die Kraft der Entmythologisierung und Entdivinisierung aller vorletzten Wirklichkeiten, auch und gerade des Staates. Deswegen musste das Christentum den Vertretern der antiken Staatskulte als „atheistisch“ erscheinen. Grundlage ist das Verständnis von Gott selbst als Liebe und Vernunft. Was der heilige Papst Johannes Paul II. in der Enzyklika „Fides et ratio“ (1998) schreibt, wurde von Ratzinger / Benedikt vielfach unterstrichen: Die frühe Kirche hat das Gespräch mit den Philosophen gesucht und sich auf der Ebene der Wahrheitssuche im Ringen um die letzten Fragen selbst ausgedrückt. Die Not der Theologie heute ist nicht zuletzt, dass sie weitgehend von einer Philosophie im Stich gelassen wird, die an ihrer Gottfähigkeit verzweifelt.

Und in inhaltlich theologischer Rücksicht?

Hier sind nach wie vor wegweisend die in seinen theologischen Qualifikationsschriften ausgearbeiteten Themen. Erstens: „Offenbarung“, man vergleiche die Habilitationsschrift über Bonaventura. Offenbarung ist nicht einfach die Mitteilung von Sachwahrheiten oder die Überlassung eines Buches, sondern ein geschichtliches Ereignis. Die Offenbarung Gottes gipfelt in der Menschwerdung des ewigen Wortes, ist also letztlich eine Person. Kirche ist der Ort, wo die Offenbarung im Glauben angenommen und immer tiefer verstanden wird. Die Bibel ist somit zunächst ein Buch der Kirche, in der sich dieser Glaube ursprünglich und normativ ausdrückt. Das hat enorme Folgen für das Selbstverständnis der Kirche. Sie ist keine Buchreligion. Alle seriös angewandten Methoden der historisch-kritischen Exegese sind nicht nur legitim, sondern notwendig zur Erforschung der Schrift. Andererseits ist die biblische Botschaft lebendiges Wort. Wo sie in dem Geist gelesen wird, in dem sie geschrieben wurde, begegnet in der Schrift hier und heute der wahre Autor: Gott selbst in seinem Sohn.  
Das zweite Thema: „Kirche und Eucharistie“, erstmals und grundlegend untersucht in der Dissertation über Augustinus. Benedikt steht für eine „Eucharistische Ekklesiologie“. Kirche lebt aus der Eucharistie. Sie ist „Volk Gottes als Leib Christi“, das sich immer wieder neu in der Eucharistie selbst empfängt. Eucharistie ist nicht eine Frömmigkeitsform neben anderen, sondern Höhepunkt und Quelle christlichen Lebens. Eucharistie ist höchste Realisierung von Kirche. Eucharistie ist Kirche-Werdung, und sie hört auch nicht nach dem Schlussgebet auf. Missio heißt Sendung, das Brechen des Brotes am Altar findet seine Fortsetzung in der gelebten Liebe des Alltags. Das alles wiederum hat für die Ökumene größte Bedeutung: Die gemeinsame Eucharistie ist nicht eine Etappe auf dem Weg, sondern Ausdruck der Einheit. Mehr Einheit gibt es nicht als die Einheit um den Altar. Dazu gehört schließlich die Rolle Ratzingers als Pionier der ökumenischen Bewegung, der schon in den 1950er Jahren, noch als Dozent in Freising, angeregt hat, die Möglichkeiten einer Einigung auf der Basis der Confessio Augustana (1530) zu untersuchen. Denn Kircheneinheit könne nicht mit Einzelpersonen und ihrer Theologie erzielt werden, sondern nur mit einem „kirchlichen“ Bekenntnis. Es ist eine wichtige Aufgabe der Lutheraner, ihre „Kirchlichkeit“ zu bestimmen.

Was zieht junge Theologen Ihrer Erfahrung nach besonders an der Theologie des emeritierten Papstes bzw. Joseph Ratzingers an?

Dass hier Wahrheitssuche und Schönheit des Glaubens, auch die Schönheit und der Bilderreichtum der Sprache mit existentiellem Tiefgang einhergehen. Man spürt: Hier leuchtet die Bedeutung des Glaubens für mich auf. Junge Leute geben sich nicht zufrieden mit Effekthascherei und Schielen auf kurzlebigen medialen Beifall. Sie wollen wissen, was gilt, was trägt, und wofür man sein Leben drangeben kann.

 

Es gab – weltkirchlich – einiges Befremden über den oft derben Umgang der Deutschen mit Papst Benedikt, nachdem die Wir-sind-Papst-Euphorie verflogen war. Haben die Deutschen die Chance des Pontifikats verpasst?

Überraschend war nicht der derbe Umgang mit dem Papst, überraschend waren die zwischenzeitlichen Ansätze einer Identifikation auch der Kirche in Deutschland mit „ihrem“ Papst. Als Präfekt der Glaubenskongregation war Kardinal Ratzinger das Feindbild all derer, die unter Berufung auf einen ominösen „Geist des Konzils“ dessen Buchstaben hinter sich lassen wollten. Doch Ratzinger wirkte unbeirrt an der Seite des heiligen Johannes Paul II. und brachte die Umsetzung des Konzils voran, insbesondere in der Vorbereitung des Katechismus der Katholischen Kirche, im Ringen um die grundlegenden Fragen der Bioethik, in der Ökumene, in seiner Kritik auch an einer die Grenzen zur marxistischen Ideologie nicht immer berücksichtigenden Befreiungstheologie. Die zu Skandalen aufgebauschten Missgeschicke der Kurie (insbesondere die Aufhebung der Exkommunikation auch des Holocaustleugners Williamson) gaben Anlass, zur „Normalität“ sprungbereiter Feindseligkeit zurückzukehren.

Glaubt man weltkirchlichen Beobachtern, so wird das Papstamt seit Jahren eher durch Gesten (Ablegen der Tiara, gesellschaftlichen Außenseitern die Füße waschen, etc.) verändert als durch theologische Texte. Fiel der zurückhaltende Benedikt da etwas aus dem Trend? Ist er vielleicht sogar bewusst gegen den Strom geschwommen?

Papst Benedikt hat das Papstamt auf die ihm mögliche Weise und unter Einsatz seiner Charismen und Stärken ausgeübt. Mit Thomas Söding kann man formulieren, Benedikt habe das Petrusamt auf paulinische Weise ausgeübt, „paulinisch“ einmal im Sinne der Vorbildlichkeit Papst Pauls VI., dann aber auch im Sinne des Maßnehmens am Apostel Paulus: Leitung vor allem durch Verkündigung und Lehre.

Die Reform der Liturgiereform gilt als eine Säule der theologischen Vision Joseph Ratzingers von einer Erneuerung der Kirche. Sein Nachfolger sieht das anders: „Von einer Reform der Reform zu sprechen, ist ein Irrtum“, sagte Franziskus. Ist damit der Schlussstrich unter das Projekt einer erneuerten Liturgie gezogen?

Papst Franziskus setzt andere Schwerpunkte. Die Mahnungen Benedikts bleiben freilich gültig: die Liturgie nicht zur Erprobung der eigenen Kreativität zu missbrauchen, sie in Offenheit auf die ganze Kirche und in Einheit mit ihr zu feiern, die kosmische Dimension (auch der Gebetsrichtung) zu achten und nicht zuletzt den Charakter der Anbetung zu wahren. Die Kirche, die sich immer wieder an ihrem Ursprung und auf ihr Ziel hin neu ausrichten muss, wird auch ihre Liturgie von diesem Reformbemühen (in dem zuvor beschriebenen Sinn) nicht ausklammern können.

Ein Papst, der Jesusbücher schrieb, war etwas ganz neues in der Kirchengeschichte. Worin liegt aus Ihrer Sicht der Gewinn der Trilogie?

Benedikt hat das Papstamt gelebt vor allem als „Verheutigung“ (aggiornamento) des Petrusbekenntnisses: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16). Dieses Bekenntnis ist für das Christsein fundamental. Seine Auslegung, die sich vor dem Forum der historischen Vernunft verantwortet und zugleich geistlich nährt, ist Zielsetzung des dreibändigen Werkes, zu dem er „lange unterwegs“ war. Zusammen mit der schon genannten paulinischen Weise, den Petrusdienst auszuüben, birgt dies meines Erachtens höchste ökumenische Relevanz. Luther hatte das Papstamt verworfen, weil es ihm das Christus-Bekenntnis zu verstellen und zu verdunkeln schien. Papst Benedikt sieht seine erste Aufgabe darin, dieses Bekenntnis zu bekräftigen und zugleich auszulegen. Da ist ein Papst, der sich als Diener des Wortes, als Vermittler des Wortes versteht. Ich bin sicher, dass er auch zu den ganz großen Predigern auf dem Stuhl Petri gezählt werden wird. Als Direktor des Institut Papst Benedikt XVI. in Regensburg weiß ich um die enorme Nachfrage nach seinen Predigten und die Vielzahl der Übersetzungen. Sie enthalten eine überreiche Fülle von Anregungen und sind in ihrer meist gesamtbiblischen, also Altes und Neues Testament aufeinander beziehenden Anlage und in ihrer spirituellen Tiefe modellhaft und vorbildlich. Ich bin mir sicher, dass man Benedikt XVI. einmal mit Leo I. und Gregor I., den beiden Großen (vor allem großen Predigern), nennen wird.

Für die Weltkirche bleibt der Name Ratzinger nicht zuletzt mit dem Katechismus verbunden. Wäre aus Ihrer Sicht eine Revision einzelner Abschnitte fällig, wie der Dogmatiker Helmut Hoping sie kürzlich mit Blich auf die unterschiedlichen Interpretationen von Amoris laetitia vorgeschlagen hat?

Der Katechismus ist in der Tat ein großes Geschenk für die Weltkirche. Kardinal Ratzinger griff das Thema sehr bald nach seinem Amtsantritt auf, man denke an die Rede über die „Krise der Katechese“ in Frankreich im Januar 1983, worin das Projekt schon implizit vorgestellt wurde. Wie der „Catechismus Romanus“ (1566) die durch das Konzil von Trient erneuerte Lehre der Kirche für die systematische Glaubensvermittlung aufbereitete, so tut dies der Katechismus der Katholischen Kirche (1992/93) auf der Basis der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils. Große Verdienste bei der Redaktion hat sich – im Auftrag der Glaubenskongregation ‑ der damalige Professor Pater Schönborn OP erworben, ein Schüler Joseph Ratzingers, heute bekanntlich Erzbischof von Wien. Er hat jüngst mit der österreichischen Bischofskonferenz vorgeschlagen, die Position zur Todesstrafe noch dezidierter ablehnend zu formulieren. So wie es im Glaubensverständnis einen legitimen Fortschritt geben kann (DV 8), wird es auch in einzelnen Passagen des Katechismus immer wieder Aktualisierungsbedarf geben.

Leitmotiv im bischöflichen und wissenschaftlichen Wirken Joseph Ratzingers war die Wahrheitssuche und er wurde nicht müde, daran zu erinnern, dass der Mensch zur Wahrheit fähig sei. Wird er damit auf absehbare Zeit für diejenigen als Spielverderber gelten, denen Toleranz und Pluralismus über alles gelten?

Benedikt XVI. ist der Anwalt der menschlichen Vernunft und somit Anwalt der höchsten Möglichkeiten des Menschseins. Die Tragödie der neuzeitlichen Philosophie besteht ja in der sukzessiven Fesselung der Vernunft und der Depotenzierung ihrer Wahrheitsfähigkeit. Vor diesem Hintergrund wirbt Benedikt für die „Entfesselung“ der menschlichen Vernunft. Seine Rede von der Diktatur des Relativismus macht darauf aufmerksam, dass niemand die Wahrheitsfähigkeit der Vernunft bestreiten kann, ohne dafür wiederum Geltung zu beanspruchen. Man bestreitet, was man voraussetzt. Die scheinbar so toleranten Pluralisten sind in der Regel nicht aufgeklärt über ihren eigenen oft totalitären Dogmatismus.

Für seine Regensburger Rede musste Benedikt XVI. harsche Kritik einstecken. Angesichts der Grausamkeiten, die Islamisten weltweit verüben, sehen nicht wenige seine Warnung vor Gewalt im Namen Gottes mittlerweile als prophetischen Warnruf. Wie bewerten Sie rückblickend die Regensburger Rede?

Sie war in der Tat prophetisch, und sie wird von Tag zu Tag aktueller. Es ist gewiss auch eine Folge dieser Regensburger Rede, dass auch im innerislamischen Dialog die Notwendigkeit offen angesprochen wird, das Verhältnis von Gottesbild und Gewalt zu klären.

Entweltlichung war ein weiteres vieldiskutiertes Stichwort von Benedikt XVI. Täuscht der Eindruck, dass sich die Linien von der Entweltlichung der Kirche direkt zur „armen Kirche für die Armen“ ausziehen lassen, die Papst Franziskus ein Anliegen ist?

Da gibt es Schnittmengen, aber es ist nicht ganz das Gleiche. Nicht über viele materielle Möglichkeiten zu verfügen, bewahrt vielleicht vor mancher Verstrickung. Andererseits ist Armut, gerade auch eine unfreiwillige, an sich keine Garantie für Freiheit von weltlicher Versuchung. In seiner Predigt in München-Riem 2006 hat Benedikt XVI. ausdrücklich das große Engagement der Kirche in Deutschland für die Weltkirche gelobt und sich für die Arbeit der Hilfswerke bedankt. Armut im Sinne von „haben als hätte man nicht“ und die Voranstellung der Reich-Gottes-Suche sind geistliche Herausforderungen, die sich der Kirche zu jeder Zeit und in allen gesellschaftlichen Kontexten immer wieder neu stellen. Worum es Benedikt in Freiburg mit dem Begriff „Entweltlichung“ auch ging, ist in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes (Artikel 36) in der Rede von der „relativen Autonomie“ benannt. Das Konzil verweist ausdrücklich auf Galileo Galilei. Die Kirche überschreitet ihre Kompetenz und ihren Sendungsauftrag, wenn sie die Eigengesetzlichkeit von Wissenschaft und Politik nicht achtet. „Christlich handeln heißt sachgerecht handeln, ohne falsche Direktheit kirchlicher Reglementierung“, schreibt Joseph Ratzinger, das Konzil kommentierend (JRGS 7,555). Das bedeutet nicht zuletzt: Zurückhaltung in tagespolitischen Fragen, wo eine Vielheit von Positionen auch kirchlich legitim ist!

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