"Ich weigere mich, mich zu erschießen. Ich bin Katholik." - Gedenken an den Publizisten und NS-Gegner Fritz Gerlich

29.09.2015

Seit heute steht in der Gerlichstraße im Regensburger Westen eine Bronzebüste von Fritz Gerlich. Der Journalist Fritz Gerlich starb als Märtyrer im antinationalsozialistischen Widerstand. Mit Worten und der ihm gegebenen Medienkompetenz wusste er sich der Wahrheit verpflichtet und gilt noch heute als kompromissloser und radikaler Verfechter eines freien und unabhängigen Journalismus. Mit der Gründung der Zeitung „Der Gerade Weg“ stellte er sich dem Nationalsozialismus mit der Kraft des Wortes entgegen. Am 9. März 1933 stürmten die Nazis die Zeitungsredaktion und verhafteten Gerlich. Ein Jahr später wurde er im Konzentrationslager Dachau ermordet.

Erfahren Sie hier mehr über seine Person und sein Gedenken. 

Dr. Stefan Meetschen, Journalist und Schriftsteller, hat mit seinem im August 2015 erschienen Buch „Der gerade Weg“ ein neues biografisches Werk über den im Nationalsozialismus ermordeten Journalisten Fritz Gerlich vorgelegt. In einem Interview mit der Bischöflichen Pressestelle beleuchtet er das beeindruckende Leben seines Kollegen.


Herr Meetschen, Sie haben sich als Autor und Publizist mit großen Heiligen wie Papst Johannes Paul II. und Schwester Faustyna Kowalska auseinander gesetzt. Woran lag es, dass Sie nun eine Biographie über den katholischen Publizisten Fritz Gerlich (1883-1934) verfasst haben, der als Gegner Adolf Hitlers von den Nationalsozialisten 1934 ermordet wurde?


Ich habe von Fritz Gerlich zum ersten Mal vor 15 Jahren gehört. Ich wusste, da gab es diesen Münchner Chefredakteur, der öfters nach Konnersreuth gefahren und konvertiert ist und schließlich für sein mutiges Engagement gegen Hitler mit dem Leben bezahlt hat. Im vergangenen Jahr tauchte der Name Fritz Gerlich aufgrund seines 80.ten Todestages wieder häufiger auf. Ich las einiges über ihn und dachte: Der Mann hat es verdient, noch viel bekannter zu werden! Welchen Beitrag kann ich dazu leisten? Zunächst schwebte mir vor, einen Roman über Fritz Gerlich zu verfassen, doch je mehr ich über ihn las, desto stärker wuchs meine Scheu, etwas zu erfinden, zumal manche Aspekte noch im Dunkeln liegen. In meinem Buch „Ein gerader Weg“ geht es um die wichtigsten Fakten und gesicherten Ereignisse in seinem Leben, die sind spannend genug. Ein Fritz Gerlich-Buch für Einsteiger, wenn man so will.


Wie muss man sich den Lebensweg Gerlichs vorstellen? Sein Weg vom eher rationalistisch denkenden Konservativen zum katholischen Publizisten und radikalen Hitler-Gegner schien ihm ja nicht von Anfang an in die Wiege gelegt worden zu sein...


Das stimmt. Es gibt in seinem Leben viele interessante Wendungen, aber auch eine große Kontinuität: Die Suche nach der Wahrheit. Schon als Jugendlicher in Stettin, wo er in einem calvinistischen Elternaus zur Welt kam, hat er sich für nahezu alles interessiert, was ihm vor die Augen kam. Literatur, Naturwissenschaften. Als Student und Archivar in München prägten die Geschichte, die Pädagogik und die Politik sein Leben und Denken. Später hat er sich auf das ökonomische, medizinische und theologische Terrain vorgewagt. Gerlich hat sich ständig weitergebildet und dadurch weiterentwickelt. Dazu kommt, dass er trotz seiner Ausbildung zum Archivar durchaus offen für andere Berufe war. Mit einer Politikerkarriere hat er ebenso geliebäugelt wie mit einer Hochschullaufbahn. Durch journalistische Erfahrungen und gute Kontakte landete er dann auf der Stelle des Chefredakteurs der „Münchner Neuesten Nachrichten“, der Vorläuferin der „Süddeutschen Zeitung“.

 

Als Journalist galt Gerlich wohl auch unter Kollegen nicht wirklich als Sympathieträger...

Das kann man so sagen. Dabei hatte er aber auch schon als Student seine Kritiker! Ein Kommilitone schrieb über Gerlichs „scharfe Rabennase im krankhaft blassen Gesicht“, seine „schneidende Zunge“ und eine „nie rastende Dialektik“. Tatsache ist: Als Fritz Gerlich 1920 die Stelle des Chefredakteurs erhielt, gab es einige Kollegen in der Presselandschaft, die drauf mit Neid und Häme reagierten, weil sie sich für besser qualifiziert hielten. Worauf Gerlich mit einer gewissen Arroganz reagierte. Er fühlte sich den normalen Presseleuten intellektuell überlegen. Innerhalb der Zeitung arbeitete Gerlich stets am Limit. Dabei neigte er zu cholerischen Ausbrüchen. Der Job war allerdings auch nicht ganz einfach. Die politischen und kommerziellen Interessen der Herausgeber und seine eigenen politischen Ansichten in Einklang zu bringen, kostete viel Kraft und Nerven.

 

Aber dann gab es eine große Wende in seinem Leben, die kann man wohl am besten mit dem Wort „Konnersreuth“ überschreiben kann. Was ist da mit ihm geschehen?

Ein Redakteur der Zeitung, Erwein Freiherr von Aretin, hatte 1927 einen Artikel verfasst, der von der stigmatisierten Therese Neumann in Konnersreuth handelt. Dieser Artikel sorgte für Aufsehen, auch international. Das machte Gerlich Sorgen. Er fürchtete, dass dies alles nur ein „Schwindel“ sei, wie er selbst sagte, was für ihn als presserechtlich Verantwortlichem natürlich eine Blamage gewesen wäre. Er fuhr also nach Konnersreuth, um den „Schwindel“ zu entlarven. Doch was passiert dort? Er begegnet Therese Neumann und ist durch die Begegnung mit ihr völlig erschüttert. Durch diese schlichte, aber mystisch veranlagte Frau hindurch erkennt er Jesus Christus. Er begreift plötzlich, dass hinter dem Christentum mit all seinen ehrenwerten Prinzipien und sittlichen Forderungen eine lebendige Person steht. Der Sohn Gottes, der „Heiland“, wie er selbst es ausdrückte. Es ereignet sich bei Fritz Gerlich also ein religiöser Durchbruch, wenn man so will, ein „Damaskus“-Erlebnis.   

 

Fiel in diese Zeit auch seine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus? Oder entwickelte er seine große Abneigung gegenüber Hitler und der NS-Ideologie schon vorher?

Schon früher. Bereits 1921 schrieb Gerlich, dass das Programm der NDSAP von „Torheit“ und „Dürftigkeit“ und dazu von einem „Radauantisemitismus“ geprägt sei. Anti-Werte, die Gerlich natürlich entschieden ablehnte. 1923 kam es zu persönlichen Begegnungen mit Hitler, weil dieser sich publizistische Unterstützung von den „Münchner Neuesten Nachrichten“ erhoffte. Gerlich erkannte jedoch, dass in Hitlers Kopf irgendetwas nicht stimmte. Man konnte keinen normalen Dialog mit ihm führen. Der gescheiterte „Bürgerbräu-Putsch“ im Herbst 1923, bei dem Hitler kurzfristig die Macht an sich zu reißen versuchte, war dann das i-Tüpfelchen. Gerlich wusste nun, dass man Hitler als Mensch und Politiker nicht trauen konnte. Er behielt ihn von da an kritisch im Blick.    


In der von Gerlich herausgegebenen Zeitschrift „Der gerade Weg“ sind wohl seine deftigsten Tiraden gegen Hitler und die NS-Ideologie zu finden. Welche Wirkung hatte diese Zeitschrift gerade auf Katholiken? Auch im Elternhaus von Joseph Ratzinger soll ja „Der gerade Weg“ Pflichtlektüre gewesen sein...


Stimmt. Ratzinger hat dies im Gespräch mit Peter Seewald gesagt. Wie war die Wirkung? Ich würde sagen: geteilt. Der Münchner Kardinal Michael Faulhaber und sehr viele Geistliche schätzten die Zeitung, weil Gerlich mit fundierten Argumenten dem Irrsinn der Nazi-Propaganda etwas entgegenhielt. Es gab unter den Katholiken aber auch solche, denen die radikale Kritik und der polemische Ton Gerlichs zu weit ging, zumal er nicht nur die Nazis kritisiert hat, sondern auch die christlichen Parteien, denen er vorwarf, sich nicht immer klar genug von Hitler abzugrenzen.

 

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten hatte diese radikale Kritik schnell Konsequenzen...

Man hatte schon vorher versucht, Gerlich mundtot zu machen. Mit Drohungen, durch Schmähartikel im „Völkischen Beobachter“. Am 9. März 1933 wurde die Redaktion der Zeitung „Der gerade Weg“ von der SA gestürmt und Fritz Gerlich festgenommen. Er war bewaffnet, leistete aber keinen Widerstand. Es folgte ein Jahr in sogenannter „Schutzhaft“ mit Misshandlungen und schließlich die Ermordung in der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1934 im Konzentrationslager Dachau.

 

Ist Fritz Gerlich für Sie einer der großen Märtyrer des vergangenen Jahrhunderts?

Unbedingt! Was ihn meines Erachtens besonders auszeichnet, ist die Tatsache, wie früh und hellsichtig er das Übel des Nationalsozialismus erkannt hat – und zwar in verschiedenen Dimensionen. Auch auf der geistlichen Ebene. Der Historiker Professor Karl-Joseph Hummel nennt Gerlich einen der „ersten Märtyrer des Dritten Reiches“. 1999 ist Gerlich in das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts, „Zeugen für Christus“, aufgenommen worden. Ich bin zuversichtlich, dass wir ihn eines Tages auch als Seligen verehren dürfen.


Und worin kann der gläubige Christ und Journalist Fritz Gerlich heutigen Menschen noch ein Vorbild sein?


Als Journalist und Autor imponiert mir besonders, dass Fritz Gerlich die Fluchtmöglichkeit, die es zweifellos gab für ihn, mit dem Satz ausgeschlagen hat: „Ich bin bereit, für das, was ich geschrieben habe, mit meinem Leben einzustehen!“ Eine solche Deckungsgleichheit von Wort und Tat ist außerordentlich. Was ich allgemein für vorbildlich halte, sind Gerlichs Mut, seine Wahrheitsliebe und damit eng verbunden seine Kompromisslosigkeit. Zumal er durch mystische Erkenntnisworte der „Resl“ wusste, dass er nach irdischen Gesichtspunkten nicht gegen Hitler gewinnen wird. Seine Schwächen empfinde ich gerade in der heutigen Zeit, in der man versucht, Menschen immer stärker zu normieren, als tröstlich.



Hinweis:
Stefan Meetschen: „Ein gerader Weg: Der katholische Journalist, Widerstandskämpfer und Märtyrer Fritz Gerlich“, fe-medienvlg (21. August 2015), ISBN-13: 978-3863571344

Nahe des Münchener Königsplatz steht seit Juni 2015 eine bronzene Büste des Journalisten Fritz Gerlich. „Am Rande seines Nachhauseweges in die Richard-Wagner-Straße, schaut er hinüber zum neuen NS-Doku-Zentrum, in dem er präsent ist als einer derjenigen, die das Unheil vorausgesehen hatten und zu verhindern suchten.“, erklärt Bischof Rudolf Voderholzer. Nun wurde ein Abguss der Büste auch im Regensburger Westen in der Gerlichstraße aufgestellt. Bischof Rudolf Voderholzer hatte sich dafür eingesetzt. Gestiftet hatten die Büste an der Ecke Gerlichstraße und Schillerstraße die Stadt Regensburg, Bischof Voderholzer sowie die Firma Rödl und Herdegen.

Erfahren Sie mehr dazu im Bericht: Büste des NS-Märtyrers Fritz Gerlich in Regensburg gesegnet 
 

Bischof Rudolf Voderholzer über Fritz Gerlich

„Ich verehre Fritz Gerlich als einen Mann, der für Wahrheit und Gerechtigkeit bis in die letzte Konsequenz und die letzte Faser seiner Existenz  eingestanden ist und sich letztlich damit das Martyrium eingehandelt hat.“ Im Zusammenhang mit der Enthüllung der Fritz-Gerlich-Büste in München sprach Bischof Rudolf Voderholzer mit dem St. Michaelsbund über die Bedeutung des Gedenkens an Fritz Gerlich. Er äußerte sich auch zum Thema Seligsprechungsverfahren: 

  • Als Sohn eines calvinistischen Kaufmanns 1883 in Stettin geboren
  • Mathematik- und Physikstudium an der Universität Leipzig, ab 1903 Studium der Geschichte und Anthropolgie in München, 1907 Promotion zum Dr. phil.
  • Archivar im bayerischen Staatsarchivdienst
  • 1920 bis 1928 Chefredakteur der „Münchner Neuesten Nachrichten“ (MNN), Vorgängerzeitung der heutigen „Süddeutschen Zeitung“, Entlassung aus dem Dienst nach internen Auseinandersetzungen
  • 1931 Kontakt mit Therese Neumann in Konnersreuth, Konversion zum Katholizismus
  • 1929 erneut Tätigkeit als Archivar im bayerischen Staatsarchivdienst
  • Ab 1930 Herausgeber der deutlich anti-nationalsozialistisch eingestellten Zeitschrift „Illustrierter Sonntag“
  • Ab 1932 „Der gerade Weg – Deutsche Zeitung für Wahrheit und Recht“
  • 1933 „Verhaftung“ Gerlichs in der Redaktionsräumen, 16 Monate „Schutzhaft“ in München
  • Erschießung Gerlichs am 30. Juni 1934 im Keller des Kommandaturgebäudes des späteren Konzentrationslagers Dachau, bis dato eine ehemalige Munitionsfabrik

Wesentliche Aussagen über Fritz Gerlich: 
 

„Naturrecht ist die grundkatholische Auffassung, dass es nicht dadurch zum Recht wird, dass es von der Mehrheit beschlossen wird. Was gilt und was Gerechtigkeit ausmacht, das findet man, wenn man lange genug darüber nachdenkt“ (Bischof Dr. Rudolf Voderholzer)

„Es ist nicht in das Belieben einer Mehrheitsentscheidung gestellt, sondern es muss mit der Vernunft und dann mit dem Herzen anerkannt werden“ (Bischof Dr. Rudolf Voderholzer)

„Man kann Fritz Gerlich nicht kopieren. Aber man kann schauen, wo heute Aufrichtigkeit und Furchtlosigkeit gefragt sind. Er hat keine Rücksicht darauf genommen, wieviele Feinde ihm das einbringt“ (Bischof Dr. Rudolf Voderholzer)

„Es gibt kein Blatt aus der damaligen Zeit, das Hitler so heftig angegriffen hat wie der „Gerade Weg“ (Klaus Schumann)

„Wenn Sie einen solchen Mann wie Hitler haben, der im Grunde nie richtig gebildet war, sondern dumm blieb und raffiniert war, und solch einen Mann wie Gerlich, der mit seinem Wissen in allem die Wahrheit suchte und insofern ein kluger und gebildeter Mann war, dann ist klar: das musste sich reiben, das kann nicht funktionieren“ (Klaus Schumann)

„Man versuchte, ihn zu überregen, sofort in die Schweiz zu fliehen. Er hatte ein Auto – einen Chrysler – , er hatte Geld. Er hat gesagt: ,Nein, Euch wird man dann verhaften. Ich bleibe hier, ich stehe zu dem, was ich geschrieben habe‛“(Klaus Schumann)

„Gerlich wurde arg misshandelt und schließlich verhaftet. ,Verhaftet‛ war ein etwas merkwürdiger Ausdruck, denn die SA-Banditen besaßen weder einen Haftbefehl noch irgendeine Legitimation“ (Prof. Dr. Rudolf Morsey)

„Gerlich versuchte (während seiner Schutzhaft), sich durch die Lektüre theologischer Werke auf sein Ende vorzubereiten“ (Prof. Dr. Rudolf Morsey)

Gerlich wurde von den SA-Schergen vernommen: „Wollen Sie jetzt sprechen? Dr. Gerlich saß ruhig da, ohne zu sprechen. Ein Revolver krachte auf den Tisch, und eine barsche Stimme befahl: Hier, erschieß’ dich selbst, du Nichtsnutz, du. Jetzt schließlich sprach Dr. Gerlich: ,Ich weigere mich, mich zu erschießen. Ich bin Katholik‛“ (O-Ton aus dem Dokumentarfilm über Gerlich „Auf der Suche nach der Wahrheit“)

„Er hat mit einem Münchner Pfarrer, der auch im Gefängnis war, dessen Weihetag reflektiert. Später sagte der Pfarrer, das habe ihm mehr gegeben als seine Weiheexerzitien“ (Bischof Dr. Rudolf Voderholzer)

 

Zitate von Bischof Rudolf Voderholzer über Fritz Gerlich:

 

„Ein Mensch mit Ecken und Kanten, der aber konsequent die Wahrheit gesucht hat.“

„Er hat keine Ruhe gefunden, bis er das gefunden hatte, was ihn befriedigt.“


„Angesichts neuer tragfester Erkenntnisse war er stets zu einer Kehrtwende bereit.“


„Er war unglaublich belesen, das Thema der Religion war bei ihm immer präsent.“


„Der Vater des späteren Papstes Benedikt hat aus Gerlichs Zeitschrift, aus dem ,Geraden Weg‛, wesentliche Impulse für die Bildung seiner politischen Meinung erhalten.“

Im Rahmen des 99. Deutschen Katholikentags 2014 in Regensburg fand ein Podiumsgespräch über Fritz Gerlich statt. In der Regensburger Pfarrkirche Herz Marien zeigte eine Ausstellung Vita und Werk des "Lobbyisten des Lebens".